Unternehmen im Fokus von Angriffen – Drei Kurzgeschichten (in der nahen Zukunft)

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Dass ich zum Jahresende mein Amt als Geschäftsführer des ASW Bundesverbandes niederlege, möchte ich zum Anlass nehmen, keinen Blick zurück, sondern einen Blick nach vorne zu werfen: Mit welchen Herausforderungen wird sich die Corporate Security künftig auseinandersetzen müssen?

Das Video

„Ist das wirklich der neue CEO von BAYER?“, fragt Tanja erstaunt. „Würde mich nicht wundern!“, gibt Lars zurück. Tanja konnte es nicht glauben. Sympathisch fand sie Großkonzerne noch nie, besonders nicht die Pharmabranche. Aber dass jemand so eiskalt sein konnte und einem Menschen das Profitstreben über alles ging, konnte sie nicht fassen. Doch das Video, auf dem er sich in kleiner Runde über Menschenversuche in Indien unterhielt, schien absolut authentisch. Offensichtlich wurde es heimlich aufgenommen, der Ton war nicht immer optimal. Der Börsenkurs rutsche nach der Veröffentlichung auf Twitter jedenfalls schlagartig ab. Als zwei Tage später ein weiteres Video auftauchte, das dieselbe Szene aus einer anderen Perspektive zeigte, gerieten auch BASF, Böhringer und weitere deutsche Konzerne der Chemie- und Pharma-Branche in Erklärungsnöte. Das ganze Land stand plötzlich am Pranger. Verbindungen zu Mengele und Auschwitz wurden gezogen. Titelseiten von New York über London, Warschau, Peking bis nach Tokyo kannten nur ein Thema: Deutschlands Menschenversuche. In einem kleinen Dorf irgendwo in Europa lachte derweil jemand leise in sich hinein. Wie einfach doch Videos heutzutage zu manipulieren waren. Und damit auch die Menschen.

Microtargeting

Ein Krisenmeeting jagte das nächste. Keiner wusste wirklich was los war, nur dass der Absatz schlagartig eingebrochen war. Kaum ein Kunde wollte noch Produkte von ihnen verspeisen. Doch warum? Die Antwort hätten sie einige tausend Kilometer weiter gefunden. In einem unscheinbaren Gebäude bastelten ein paar Auftragsdesinformateure an einer ausgefeilten Kampagne. Gezielt wurden bei Facebook über Microtargeting identifizierte Personen mit Beiträgen, Bildern, Videos über das Zielunternehmen geflutet. Tierliebe (potenzielle) Kunden erhielten Botschaften, die zeigten, wie Tiere für Produkte leiden mussten, bei Gewerkschaftern bezogen sich die Beiträge auf unmenschliche Arbeitsbedingungen, Feministinnen wurden über die Machokultur des Unternehmens „aufgeklärt“ und so weiter. Dutzende, fein säuberlich identifizierte Zielgruppen wurden passgenau angesprochen. Irgendwann würde man das schon bemerken. Doch bis dahin war das Unternehmen längst übernommen.

Telefonterror

„Wer, bitteschön, beauftragt ein ganzes Callcenter damit, unsere Mitarbeiter mit Anrufen lahmzulegen?“ regt sich Herbert Kunze auf. Dem 61jährigen Vorstandsvorsitzenden stehen die Schweißperlen auf der roten Stirn. „Nein! Nein! Nein! Ich habe Sie nicht angerufen und auch sonst habe ich niemandem gesagt, die Produktion solle wegen einer Bombendrohung sofort abgestellt werden!“ Kunze fasst sich ans Herz. Er glaubt, in einem Alptraum gefangen zu sein. Und die Telefone hören nicht auf zu klingeln. Die Produktion steht still – überall. Und keiner ist mehr erreichbar. Die Leitungen sind besetzt, die E-Mail-Postfächer geflutet. Der Gegner arbeitet derweil in aller Ruhe weiter. Die Lüfter drehen vielleicht etwas schneller, wenn die Server, so wie jetzt gerade, tausende Anrufe gleichzeitig durchführen – in ruhiger oder auch drohender Stimme, mal mit der des Vorstandsvorsitzenden, mal mit der seiner Sekretären, mal mit der eines anderen Mitarbeiters oder auch der Stimme eines Lieferanten oder einer sonstigen Person. Hunderte Stimmprofile sind gespeichert. Der Algorithmus kann dabei zahlreiche Themen bespielen. Befehle können gegeben, Fragen gestellt oder unendliche Diskussionen angestoßen werden – auf Deutsch, Englisch, Französisch, Spanisch, Portugiesisch und bald auch auf Japanisch und Chinesisch. Herbert Kunze ahnt von all dem nichts. Er weiß nur, dass er, sollte er das Problem nicht bald in den Griff bekommen, und danach sieht es nicht aus, wird Insolvenz anmelden müssen.

Chancen

Spione, Saboteure und Kriminelle werden neue Technologien für ihre Tate einsetzen und versuchen, das Potenzial voll auszuschöpfen. Steigt dadurch die Bedrohungslage? Ganz sicher ja! Aber auch die Verteidiger können in den technologisch aufgerüsteten Werkzeugkasten greifen. KI kann bei der Abwehr nicht nur von Cyber-Angriffen helfen, Social-Media-Monitoring ein Frühwarnsystem schaffen und Dark-Net-Analysen können das Unternehmen vor bösen Überraschungen bewahren. Manche Technologien könnten sogar helfen, den Spieß umzudrehen und künftig die Verteidiger in eine bessere Ausgangslage bringen. Dafür müssen aber jetzt die Weichen gestellt werden.

 

Autor: Jan WolterQuelle: Dezember 2018 Ausgabe PROTECTOR&WiK

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